Das Wichtigste im Überblick
- Die nicht geringe Menge bei Kokain beginnt bei 5 Gramm - nicht beim Gesamtgewicht der beschlagnahmten Substanz, sondern beim tatsächlichen Wirkstoffgehalt
- Verfahren bei nicht geringer Menge führen bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr, bei weiteren Umständen wie beispielsweise Bandenbegehung, wird zwingend vor einer großen Strafkammer verhandelt und es drohen Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren aufwärts
- Eine frühzeitige und strategisch durchdachte Verteidigung ist entscheidend, da bereits im Ermittlungsverfahren wichtige Weichen für das weitere Verfahren gestellt werden
Warum die "nicht geringe Menge" bei Kokain so bedeutsam ist
Kokain gehört zu den am strengsten verfolgten Betäubungsmitteln in Deutschland. Besonders gravierend sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn die sogenannte „nicht geringe Menge“ erreicht oder überschritten wird. Dieser Begriff ist nicht nur für Beschuldigte von enormer Bedeutung, sondern auch für Rechtsanwälte, die sich auf Betäubungsmittelstrafrecht spezialisiert haben.
Die rechtlichen Unterschiede zwischen dem Handel mit einer geringen und einer nicht geringen Menge sind dramatisch: Während bei geringeren Mengen unter Umständen noch eine Verfahrenseinstellung möglich ist, führt die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge zwangsläufig zu erheblich schärferen Strafrahmen und erschwerten Verteidigungsmöglichkeiten.
In der Praxis erlebe ich täglich, wie wenig Beschuldigte über die rechtlichen Konsequenzen wissen, die mit dem Überschreiten dieser Schwelle verbunden sind. Oft sind sie überrascht, dass bereits relativ kleine Mengen ausreichen können, um in den Bereich der nicht geringen Menge zu gelangen.
Rechtliche Grundlagen des Betäubungsmittelgesetzes
Die zentrale Bedeutung von § 29a BtMG
Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) differenziert zwischen verschiedenen Mengenklassen. Die nicht geringe Menge stellt dabei eine besonders wichtige Zäsur dar, da sie den Übergang von Vergehen zu Verbrechen markiert. Nach § 29a BtMG wird bestraft, wer ohne berechtigt zu sein, Betäubungsmittel in nicht geringer Menge anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft oder besitzt.
Bestimmung der nicht geringen Menge bei Kokain
Die nicht geringe Menge bei Kokain beginnt bei 5 Gramm. Diese Menge bezieht sich ausdrücklich nicht auf das Brutto- oder Gesamtgewicht der beschlagnahmten Substanz, sondern auf den tatsächlichen Wirkstoffgehalt. Diese Unterscheidung ist von enormer praktischer Bedeutung, da Kokain auf der Straße meist stark gestreckt verkauft wird.
Ermittlungsverfahren und Beweiserhebung
Typische Ermittlungsmaßnahmen
Verfahren wegen Kokainhandels in nicht geringer Menge beginnen oft mit intensiven polizeilichen Ermittlungen. Häufig sind es Observationen, Telekommunikationsüberwachung oder kontrollierte Lieferungen, die zur Aufdeckung entsprechender Delikte führen. Die Strafverfolgungsbehörden setzen dabei auf ein breites Spektrum an Ermittlungsmaßnahmen.
Besonders häufig werden Wohnungsdurchsuchungen durchgeführt, bei denen nicht nur nach Betäubungsmitteln, sondern auch nach Beweismitteln wie Waagen, Verpackungsmaterial oder größeren Bargeldbeträgen gesucht wird. Diese Gegenstände können als Indizien für gewerbsmäßigen Handel gewertet werden und verschärfen die Situation des Beschuldigten erheblich.
Die forensische Untersuchung der beschlagnahmten Substanzen nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Nur durch eine genaue chemische Analyse kann bestimmt werden, ob tatsächlich eine nicht geringe Menge reines Kokain vorliegt. Diese Untersuchungen werden von spezialisierten Laboren durchgeführt und können mehrere Wochen in Anspruch nehmen.
Bedeutung der Untersuchungshaft
Bei Verdacht auf Handel mit Kokain in nicht geringer Menge besteht nach § 112 StPO oft Haftgrund wegen Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr. Die Schwere der drohenden Strafe – mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe – führt dazu, dass Gerichte die Fluchtgefahr häufig als gegeben ansehen.
Untersuchungshaft kann jedoch durch geeignete Auflagen vermieden werden. Als erfahrener Strafverteidiger setze ich dabei auf eine umfassende Darstellung der persönlichen Verhältnisse des Mandanten und entwickle konkrete Auflagenvorschläge, die das Verfahrensziel ebenso sicher gewährleisten wie eine Inhaftierung.
Verteidigungsstrategien und juristische Ansatzpunkte
Angriff auf die Mengenfeststellung
Ein zentraler Verteidigungsansatz liegt in der kritischen Prüfung der Mengenfeststellung. Dabei geht es nicht nur um die reine Wirkstoffmenge, sondern auch um die Frage, ob verschiedene Portionen tatsächlich zu einem einheitlichen Tatgeschehen gehören oder ob es sich um separate Vorgänge handelt.
Prüfung der Ermittlungsmaßnahmen
Die Rechtmäßigkeit der durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen bildet einen weiteren wichtigen Verteidigungsansatz. Waren die Durchsuchungsbeschlüsse rechtmäßig? Erfolgten Telefonüberwachungen auf hinreichender rechtlicher Grundlage? Diese Fragen können über Verwertungsverbote zu einem anderen Verfahrensausgang führen.
Besonders bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wie V-Personen oder Scheinkäufen ist zu prüfen, ob die Grenzen zur unzulässigen Tatprovokation überschritten wurden. Ein solcher Nachweis kann zur Einstellung des gesamten Verfahrens führen.
Strafzumessung und minder schwere Fälle
Kriterien für minder schwere Fälle
Die Annahme eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG kann die drohende Strafe erheblich reduzieren. Faktoren für einen minder schweren Fall können sein: geringe Überschreitung der nicht geringen Menge, Eigenkonsum, keine gewerbsmäßige Begehung, Geständnis und Kooperationsbereitschaft, ungünstige persönliche Umstände oder das Vorliegen einer Suchterkrankung.
Strategien zur Strafmilderung
Eine durchdachte Verteidigungsstrategie berücksichtigt bereits früh im Verfahren Aspekte der Strafzumessung. Dazu gehört die Dokumentation persönlicher Umstände, der Nachweis von Therapiebemühungen oder die Darstellung sozialer Integration.
Besonders bei erstmalig auffälligen Beschuldigten mit gefestigten Lebensverhältnissen bestehen gute Chancen auf eine milde Strafzumessung. Die Vorbereitung entsprechender Nachweise sollte jedoch bereits im Ermittlungsverfahren beginnen.
Praktische Handlungsempfehlungen für Betroffene
Verhalten bei polizeilichen Maßnahmen
Wird jemand verdächtigt, mit Kokain in nicht geringer Menge gehandelt zu haben, ist das richtige Verhalten in der ersten Verfahrensstufe entscheidend. Grundsätzlich besteht ein umfassendes Schweigerecht, von dem unbedingt Gebrauch gemacht werden sollte, bis ein Rechtsanwalt konsultiert wurde.
Aussagen gegenüber der Polizei können später nur schwer korrigiert werden und verschlechtern oft die Ausgangslage erheblich. Auch scheinbar entlastende Angaben können sich im weiteren Verlauf als nachteilig erweisen, da sie die Verteidigungsstrategie einschränken.
Bei einer Durchsuchung sollten Betroffene kooperativ, aber zurückhaltend auftreten. Keine Angaben zur Sache tätigen – Schweigen ist hier das oberste Gebot. Hinweise auf versteckte oder andere belastende Gegenstände sollten ebenfalls nicht gegeben werden. Das Recht, einen Rechtsanwalt zu kontaktieren, sollte sofort geltend gemacht werden.
Bedeutung frühzeitiger anwaltlicher Vertretung
Je früher im Verfahren ein spezialisierter Rechtsanwalt eingeschaltet wird, desto besser sind meist die Erfolgsaussichten. Bereits im Ermittlungsverfahren können wichtige Weichen gestellt werden, die das spätere Hauptverfahren maßgeblich beeinflussen.
Ein erfahrener Verteidiger kann bereits frühzeitig Akteneinsicht nehmen, die Ermittlungen beobachten und bei Bedarf eigene Ermittlungen einleiten. Auch die Vorbereitung auf eine mögliche Aussage des Mandanten erfordert sorgfältige Planung und Abstimmung.
Die Kommunikation mit den Strafverfolgungsbehörden sollte ausschließlich über den Rechtsanwalt erfolgen. Direkte Kontakte zwischen Beschuldigten und Staatsanwaltschaft oder Polizei bergen erhebliche Risiken und sollten vermieden werden.
Checkliste für Beschuldigte und Angehörige
Sofortmaßnahmen bei Verdacht oder Anklage:
- Schweigen Sie bei polizeilichen Vernehmungen – Machen Sie von Ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch
- Kontaktieren Sie umgehend einen spezialisierten Strafverteidiger – Je früher, desto besser für Ihre Verteidigung
- Sammeln Sie alle relevanten Unterlagen – Ärztliche Bescheinigungen, Therapienachweise, Arbeitgeberbescheinigungen
- Vermeiden Sie weitere belastende Handlungen – Konsumieren Sie keine Betäubungsmittel und entsorgen Sie keine Beweismittel
- Informieren Sie vertrauensvolle Personen – Familie und enge Freunde sollten über die Situation informiert werden
- Dokumentieren Sie persönliche Umstände – Soziale Bindungen, berufliche Situation und Therapiebemühunge
- Bereiten Sie sich auf längere Verfahrensdauer vor – BtMG-Verfahren können sich über Monate hinziehen
- Beachten Sie Meldeauflagen und andere Weisungen – Verstöße können zu Untersuchungshaft führen
Professionelle Verteidigung als Schlüssel zum Erfolg
Der Umgang mit Vorwürfen des Handels mit Kokain in nicht geringer Menge erfordert höchste Fachkompetenz und strategisches Vorgehen. Die rechtlichen Konsequenzen sind so schwerwiegend, dass eine Verteidigung ohne spezialisierte Expertise kaum erfolgversprechend ist.
Die verschiedenen Verteidigungsansätze – von der Anfechtung der Mengenfeststellung über die Prüfung der Ermittlungsmaßnahmen bis hin zur Strafzumessungsargumentation – müssen aufeinander abgestimmt und von Beginn an strategisch geplant werden.
Als Fachanwalt für Strafrecht mit langjähriger Erfahrung in Betäubungsmittelverfahren weiß ich, wie entscheidend die ersten Schritte im Verfahren sind. Jeder Fall ist einzigartig und erfordert eine individuelle Herangehensweise, die alle besonderen Umstände berücksichtigt.
Wenn Sie mit Vorwürfen im Betäubungsmittelstrafrecht konfrontiert sind, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine frühzeitige und strategisch durchdachte Verteidigung kann den Unterschied zwischen einer mehrjährigen Haftstrafe und einer milderen Sanktion ausmachen.
Häufig gestellte Fragen
Die nicht geringe Menge bei Kokain beginnt bei 5 Gramm. Entscheidend ist dabei nicht das Gesamtgewicht der beschlagnahmten Substanz, sondern der tatsächliche Wirkstoffgehalt, der durch forensische Untersuchung bestimmt wird.
Der Konsum selbst ist nicht strafbar. Strafbar dagegen ist der mit dem Konsum regelmäßig verbundene Besitz von Kokain in nicht geringer Menge. Heißt zum Beispiel: Wenn Sie in der Wohnung eines Freundes konsumieren, der sein eigenes Kokain dort lagert, ist dies für Sie nicht strafbar.
Ja, nach der sogenannten Additionstheorie werden die Reinsubstanzgehalte aller bei einer Person aufgefundenen Portionen zusammengerechnet, wenn sie zu einem einheitlichen Tatgeschehen gehören.
Eine Verfahrenseinstellung ist bei nicht geringer Menge sehr schwierig, aber nicht gänzlich unmöglich. Dafür müssen besondere Umstände vorliegen, etwa schwerwiegende Verfahrensfehler oder eine unzulässige Tatprovokation.
Ein minder schwerer Fall reduziert die Mindeststrafe von einem Jahr auf sechs Monate. Faktoren können sein: Geringe Überschreitung der Menge, Eigenkonsum, erste Straftat und/oder andere besondere Umstände.
Nein, Sie haben das Recht zu schweigen und sollten dieses unbedingt nutzen. Kontaktieren Sie zunächst einen Rechtsanwalt, bevor Sie irgendwelche Angaben machen.
Bei Verdacht auf Handel mit nicht geringer Menge besteht oft Haftgrund wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr. Durch geeignete Auflagen kann die Haft jedoch oft vermieden werden.
Ja, die Verteidigung kann eigene Sachverständige mit der Untersuchung der beschlagnahmten Substanzen beauftragen. Dies kann zu anderen Ergebnissen führen als die behördlichen Gutachten.
BtMG-Verfahren bei nicht geringer Menge können sich über viele Monate hinziehen. Die forensische Untersuchung allein dauert oft mehrere Wochen, das gesamte Verfahren meist 6-18 Monate.
Eine glaubhafte Therapiebemühung kann bei der Strafzumessung positiv berücksichtigt werden und die Chancen auf eine Bewährungsstrafe erhöhen. Der Nachweis sollte möglichst früh im Verfahren erbracht werden.





